„Ich dachte, das geht nur mir so …“

Aha-Effekte im Rahmen der kollegialen Beratung

Ein Beitrag von

Alexandra Franke-Nanic

für comdico.

Nachtmodus

Stefanie Fitz ist Führungskraft eines mittelständischen Unternehmens. Sie hat das neunköpfige Team erst vor kurzem übernommen und ist hochmotiviert, den bisherigen, etwas angestaubten Führungsstil aufzubrechen. Jedoch merkt sie nach einiger Zeit, dass zwei ältere Mitarbeiter ihre Rolle als weibliche Führungskraft nicht anerkennen: Delegierte Aufgaben bleiben unerledigt oder werden anders als gewünscht ausgeführt, bei den Meetings gibt es ab und zu ein Augenrollen und gemeinsame Teambuildung-Events werden fadenscheinig abgesagt. Stefanie ist sich unsicher, wie sie weiter verfahren soll. Sie möchte ungern ihren Vorgesetzen damit belasten und empfindet diese vermeintliche Sackgasse als persönliches Versagen.

Welche Personalentwicklungsmaßnahme kann in dem geschilderten Fall helfen?

Vielleicht findet ja Stefanie eine Kollegin, die bereits vor einer ähnlichen Aufgabe stand bzw. steht. Ein kollegialer Austausch, ein Perspektivwechsel, ein Abklopfen des eigenen blinden Flecks verbunden mit zielorientierten Lösungsvorschlägen – all das bietet die kollegiale (Fall-)Beratung.

Die kollegiale Beratung ist ein systematisches, arbeitsplatznahes Beratungsgespräch und bewährtes Instrument, bei dem sich Kolleginnen und Kollegen nach bestimmten Regeln zu Schlüsselthematiken austauschen. Gemeinsam Lösungen entwickeln und deren Erfolgschancen ausloten, das ist das Ziel. Ein ähnlicher Erfahrungshintergrund der Teilnehmenden und das daran geknüpfte Potenzial der Gruppe machen sie zu einer kostengünstigen Alternative zum Coaching.

Der Mehrwert für den einzelnen Mitarbeitenden ist enorm hoch, denn hier zeigen die vermeintlich kleinen Dinge ihre große Wirkung: Die Methode ist leicht umzusetzen und der Transfer in die Praxis könnte kaum größer sein. Die verschiedenen Perspektiven lassen eine schnelle, praxistaugliche Lösungsfindung zu, wobei der Fallgeber die Möglichkeit erhält, seine persönliche Haltung und Einstellung zu reflektieren. Gleichzeitig stärkt die Methode das kollegiale Miteinander und schult die persönlichen Fähigkeiten aller Teilnehmenden. Die Führungskräfte lösen ihre Probleme selbst, ähnlich einer Selbsthilfegruppe. Außerdem werden für die Organisation wichtige Schlüsselthemen identifiziert und sichtbar gemacht.

Und wie sieht diese Form der Beratung genau aus?

In der kollegialen Beratung treffen sich zirka sechs bis neun Teilnehmerinnen und Teilnehmer und tragen eine klar abgegrenzte Fragestellung, ihren Fall, vor. Die Zusammentreffen können regelmäßig – ähnlich wie ein monatlicher Jour fixe – stattfinden und somit zu einem Kulturelement der Organisation werden. Freiwilligkeit ist hierbei ein Muss und kein Kann. Ferner ist es hinderlich, wenn die Mitglieder eines Teams hierarchisch verbunden sind. Die Praxisfragen, die diskutiert werden, sind vielfältig: Ich möchte als Projektleiter den Zusammenhalt meines Teams stärken. Was ist zu tun? Ich habe einen depressiven Mitarbeiter, wie kann ich besser auf ihn eingehen und gleichzeitig nicht das Team aus den Augen verlieren?

Nun kommt die kollegiale Beratung in Form der Intervision zum Einsatz. Im Kern gibt es dafür folgende Rollenverteilung:

Weitere Rollen (Prozessbeobachter, Timekeeper, Protokollführer) können bei Bedarf besetzt werden. Diese Rollen sind nicht fest zugeschrieben und wechseln je nach Fallberatung.

Die Peers unterstützen sich im Fortgang untereinander, indem sie nach einem festgelegten Ablauf (meistens) sechs Gesprächsphasen durchlaufen. Der Moderierende kann dabei selbst Mitarbeiter/Mitarbeiterin des Unternehmens sein. Als Alternative bietet sich auch ein externer Trainer bzw. Trainerin an. Dieser/Diese bringt zudem den Vorteil einer professionellen Prozessbegleitung mit viel Praxiserfahrung mit und es steigt die Chance auf nachhaltigen Erfolg. Während der strukturierten sechs Phasen beraten alle Teilnehmenden unter Anleitung, eruieren Lösungsideen und geben diese an den Fallerzähler/die Fallerzählerin weiter.

Nach einer ausreichenden Vorbereitung (Erklären des Ablaufs und der Regeln, Rollenzuweisung) beginnt die erste Phase:

  1. Der Fallgeber/Die Fallgeberin stellt den Fall vor und formuliert sein/ihr Anliegen:
    Stefanie schildert exemplarisch die Situation und die Rahmenbedingungen. Sie legt einen Fokus auf ihr Kernproblem und schildert aber auch Details, damit alle Anwesenden versteckte Beziehungsmuster wahrnehmen können. Stefanie hat ebenfalls Unterlagen mitgebracht, die die ungenügende Arbeit illustrieren sollen. Die Gruppe hört ihr in Ruhe zu und unterbricht sie nicht. Die Gruppe achtet auch auf ihre nonverbalen Verhaltensweisen, da sie Rückschlüsse auf Stefanies Gefühle geben können.
  2. Die beratende Gruppe stellt klärende Fragen und die finale Schlüsselfrage wird formuliert:
    Im nächsten Schritt haben die Anwesenden nun die Gelegenheit, ihre Fragen zur Klärung der Hintergründe und Details zu stellen. Die Sachlage wird mittels verschiedener offener Fragen abgeklopft: Wie lief das letzte Zielvereinbarungsgespräch ab? Welche Ergebnisse wurden festgehalten? Stefanie schließt letzte Informationslücken, die anderen hören ihr aktiv zu. Entscheidend ist an dieser Stelle, dass noch keine Bewertung seitens der Gruppe erfolgt. Es geht hier ausschließlich eine lückenlose Falldarstellung. Dieser Prozess dient auch dem Finden einer geeigneten Schlüsselfrage – beispielsweise in Stefanies Fall: Was habe ich für Möglichkeiten, damit mich meine Mitarbeiter ohne Vorbehalte akzeptieren?
  3. Die Beratergruppe analysiert:
    Die Anwesenden sammeln Erklärungsansätze und bilden Hypothesen. Welches Anliegen steckt dahinter? Was ist das eigentliche Thema? Alle Berater und Beraterinnen bringen ihre Gedanken ein und lassen dabei auch Assoziationen zu. Dies ist wichtig, um Dynamiken und Muster im Team zu enttarnen und Beziehungsknoten aufzulösen. Stefanie schweigt währenddessen und mischt sich nicht in das Geschehen ein. Notizen sind erlaubt und dienen als Gedächtnisstütze. Nach Abschluss dieses Schrittes hat Stefanie kurz die Möglichkeit nachzusteuern und die gebildeten Hypothesen zu priorisieren.
  4. Die Beratergruppe eröffnet die Lösungsphase:
    Im Folgenden geht es um eine konkrete Lösungsfindung. Dabei fließen eigene wichtige Erfahrungen der Gruppe ein und das Schwarmwissen fördert alternative Lösungsansätze zu Tage. An dieser Stelle können auch verschiedene Moderationsmethoden zum Einsatz kommen, beispielsweise eine Zuruf-Frage oder Kartenabfrage. Dabei diskutiert und wertet die Gruppe die einzelnen Lösungsvorschläge noch nicht. Andernfalls läuft man Gefahr, sich vorschnell auf eine Strategie festzulegen. Stefanie hört wiederum aufmerksam zu, beteiligt sich jedoch bewusst nicht an dem Brainstorming.
  5. Der Fallgeber/Die Fallgeberin gibt Feedback an die Gruppe:
    Die Anwesenden haben zahlreiche Lösungsoptionen ausgelotet, nun ist Stefanie an der Reihe: Sie geht die Vorschläge durch und gibt Feedback, welche Ansätze für sie am vielversprechendsten klingen, zum Beispiel ein konstruktives Kritikgespräch. Einen weiteren Aha-Moment gibt es aber vor allem in Bezug auf ihre eigene Rolle: Vielleicht hat ihr Enthusiasmus auch die Mitarbeiter in einen Schockzustand versetzt, wo ihnen letztlich nur Ablehnung und Verneinung bleiben. Günstig ist an dieser Stelle über die nächsten konkreten Schritte nachzudenken. Stefanie notiert sich hierfür die Vereinbarung eines Gesprächstermins.
  6. Alle Anwesenden reflektieren gemeinsam über den Prozess:
    Abschließend beziehen alle Teilnehmenden dazu Stellung, wie sie den Gruppenprozess, die Methode und das Ergebnis empfunden haben. Diese gemeinsame Reflexion stellt den Abschluss dar.

Und damit endet die kollegiale Beratung nach zirka 45 bis 60 Minuten. Diese Personalentwicklungsmaßnahme kann geringfügig in der Phasenabfolge bzw. in dem Rollenverständnis variieren. Fest steht jedoch: Stefanie geht mit einem Koffer von Lösungsansätzen und nächsten Schritten nach Hause, der Gruppenzusammenhalt wurde ebenfalls gefestigt. Denn sie ist mit ihrem Problem nicht allein. Auch das Team wird gestärkt, denn Sharing is Caring.

Literatur zum Nachlesen:

Rita Linderkamp (2011): Kollegiale Beratungsformen: Genese, Konzepte und Entwicklung. Bielefeld.

Bernd Schmid, Thorsten Veith, Ingeborg Weidner (2010): Einführung in die kollegiale Beratung. Heidelberg.

Alexandra Franke-Nanic

Sie leitet ein Drittmittelprojekt an der Universität Regensburg und doziert an verschiedenen Hochschulen in Bayern. Sie brennt für alle Themen der Personalentwicklung. Die geprüfte Personalentwicklerin macht sich besonders stark für das systemische Verständnis für Kommunikation in Unternehmen.

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