Ein Auslaufmodell in Zeiten agilen Managements?
Nachtmodus
Mitarbeitergespräche als Führungsinstrument, zur Stärkung der Mitarbeiterbindung, zum nachhaltigen Umgang mit der „Ressource Mensch“ ? Wozu brauchen wir heute noch Jahresmitarbeitergespräche, wenn die Projekte kurze Laufzeiten haben, wenn es keine eindeutigen Hierarchien mehr gibt, wenn regelmäßige kurze Meetings den Projektfortschritt widerspiegeln ?
Der Herrnstein Report 2016 weist aus: 88% der Führungskräften utzen Mitarbeitergespräche, um wichtige Themen anzusprechen, 81% als Motivationsmöglichkeit, 80 % als essentielles Führungsinstrument, 72% als Mittel des Feedbacks zur eigenen Führungsarbeit, für 15% enthält es keinen Mehrwert (Herrnstein Report 2016, S. 3).
Motivation und Wertschätzung als Ziel von Mitarbeitergesprächen
In einer Studie der Hays AG aus dem Jahr 2015/16 unter 532 Unternehmensbeteiligten aller Hierarchien gaben 72% aller Befragten an, wertschätzende Kommunikation sei der wichtigste Einflussfaktor für die Unternehmenskultur, 39% bejahten jedoch nur die Frage, ob diese auch praktiziert werde (Hays 2016, S. 14).
Doch was heißt „wertschätzende Kommunikation“, was genau lässt Mitarbeitergespräche zu Erfolgsfaktoren für Mitarbeitermotivation, für konstruktives Feedback oder die Einbindung von Mitarbeiterinteressen werden?
Kommunikative Kompetenz ist der Schlüssel zum erfolgreichen Jahresmitarbeitergespräch
Welche Verhaltensweisen und Grundeinstellungen nehmen Mitarbeitende als „wertschätzend“ wahr?
Ein Gespräch „auf Augenhöhe“ – unabhängig der Hierarchien sollte möglich sein. Bartsch schreibt: „ Die „symmetrische Kommunikation“ dagegen ist beim Redner gekennzeichnet durch: „Argumentative Rhetorik, überzeugen, mitbeteiligen“; beim Hörer durch: „mitdenken, mitentscheiden (mitbestimmen), mithandeln“ (Bartsch,2009, S. 139) und weiter auf S. 143: „Es gilt also, eine Kooperation zu ermöglichen, die dem Partner eine Mitarbeit in allen aktualisierten inhaltlichen Qualitäten einräumt“.
Vorgesetzte sollten in diesen Gesprächen die Arbeitssituation der Mitarbeitenden beleuchten und gemeinsam Probleme, Potenziale und Interessen der Mitarbeitenden besprechen. Fragen, paraphrasieren, zuhören sind in dieser Phase wichtige kommunikative Fähigkeiten.
Feedback zum Führungsstil der Vorgesetzten istessenzieller Bestandteil von Jahresmitarbeitergesprächen und erfordert, konkretes und konstruktives Feedback geben zu können, Ich-Botschaften zuformulieren und auch die Perspektive des Vorgesetzten einzubeziehen.
Müssen sich Jahresmitarbeitergespräche wandeln?
Ja und nein. Überall dort, wo es eindeutige, längerfristige hierarchische Zuordnungen gibt, sind Jahresmitarbeitergespräche nach wie vorsinnvoll: Vorgesetzte und Mitarbeitende kennen sich, können ihre jeweiligen Arbeits- und Führungsleistungen beurteilen, können über längere Zeiträume Veränderungen beobachten und thematisieren.
Im Projektalltag verändert sich dies jedoch: teils sind MitarbeiterInnen in unterschiedlichen Projektteams gleichzeitig aktiv, die Projektlaufzeiten sind kurz und die organisatorische Projektleitung ist oft nicht in Personalunion mit der fachlichen Projektleitung. Wer sollte also wann zu welchen Inhalten Mitarbeitergespräche führen? Dies macht ein Umdenken erforderlich:
Trost schreibt: „Agile Organisationen wertschätzen Individualität. Damit erreichen sie das, was man als Diversity bezeichnet. Die Folge ist eine natürliche Vielfalt der Fähigkeiten und Perspektiven von der man annimmt, sie sei gerade für die Entwicklung von Innovation förderlich. Tatsächlich kann man feststellen, dass sich in diversen Teams komplementäre Stärken ergänzen und individuelle Schwächen durch die Stärken Andererkompensieren.“ (Trost, 2015, S. 69)
Neue Rahmenbedingungen, Ziele und Funktionalitäten von Mitarbeitergesprächen
Veränderte Anforderungen und Ziele von Mitarbeitergesprächenziehen Konsequenzen für das Instrument Jahresmitarbeitergespräch nach sich:
Zunehmend werden Mitarbeitergespräche von ProjektleiterInnen, TeamleiterInnen geführt werden, die keine hierarchisch Vorgesetzten sind; laterale Führung wird eine stärkere Rolle spielen.
Mitarbeitergespräche verknüpfen die Aufgaben der Personalentwicklung mit der Rolle Führungskraft, so dass sich die Führungskräfte intensiv mit Fragen der Personalentwicklung befassen müssen.
Inhaltlich könnte sich somit das Feedback in Mitarbeitergesprächen aufsplitten in eine fachliche Komponente - Gespräch z.B.mit dem Teamleiter – und einem persönlichen Feedback mit längerfristigen Entwicklungsmöglichkeiten – Gespräch mit dem hierarchisch Vorgesetzten.
Über ein Jahr im Voraus gesetzte Ziele werden obsolet werden. Notwendig sind Feedbackgespräche in einem wesentlich kürzeren Zeitraum, beispielsweise einmal im Monat.
Die Dauer der Gespräche müsste sich deutlich verkürzen, da sie ansonsten in kürzeren Rhythmen für alle Beteiligten nicht zuleisten sind.
Mögliche Inhalte, Leitfäden und Empfehlungen zu Vorbereitung und Durchführung müssten sich den veränderten Gegebenheiten anpassen.
Feedbackgespräche, Koordinationsgespräche oder Abstimmungsgespräche müssten unterschieden werden.
Verändertekommunikative Anforderungen an die Gesprächsbeteiligten
Ausgeprägte kommunikative Kompetenzen sind für eine größere Anzahlvon Gesprächsbeteiligten erforderlich, wenn sich ein häufiger Rollenwechsel vollzieht: vom Projektmitarbeitenden, zum organisatorischen oder fachlich Projektleitenden, vom hierarchisch Vorgesetzten in einem Kontext zum Mitarbeitenden in einem anderen Kontext.
Insbesondere folgende Fähigkeiten und Fertigkeiten sind wichtig:
· Kürze und Prägnanz in der Auswahl der anstehenden Themenschwerpunkte
· Stark strukturierter Gesprächsablauf
· Gezielte Beobachtung von Handlungen und Verhaltensweisen,die im Feedback thematisiert werden
· Konkretes handlungsorientiertes Feedback
· Schaffung von Akzeptanz des Feedbacks auch von nicht hierarchisch Vorgesetzten
· Vereinbarung längerfristiger Ziele und Splittung in Teilziele
· Intensives Zuhörverhalten
· Akzeptanz evtl. abweichender Meinungen
Herausfordernde Fragen
Wie verläuft der Informationsfluss bezüglichder Mitarbeitergespräche? Bisher lautete der Grundsatz aller Leitfäden, die Inhalte und Ergebnisse der Mitarbeitergespräche werden zwar schriftlich fixiert, jedoch nicht an Dritte weitergegeben. Wenn nun die Feedbackgespräche auf mehrere Führungspersonen aufgeteilt sind, je nachdem, mit wem der jeweilige Mitarbeiter zeitlich begrenzt zusammenarbeitet, wäre dies eine schwierige Frage.
Die Abgrenzung der jeweils zu besprechenden Inhalte müsste systematisch und transparent erfolgen.
Die grundsätzliche Abschaffung jeglicher Vorgaben zu Dauer, Inhalt, zeitlichem Rhythmus der Gespräche (WELT, 8.6.2017) scheint jedoch zweifelhaft, da diese Gespräche dann der Beliebigkeit unterliegen. Kein Mitarbeitender oder Vorgesetzter könnte ein solches Gespräch einfordern.
Schlussfolgerungen
Das Instrument Jahresmitarbeitergespräch im klassischen und wörtlichen Sinne wird für manche Organisationen mit festgelegten Hierarchien und wenig Projektarbeit nach wie vor ein wichtiges Führungsinstrument bleiben. Für andere eher projektbezogene Bereiche werden sich die Dauer, die Frequenz, die beteiligten Personen und damit auch inhaltliche Schwerpunkte eher zuregelmäßigen Feedbackgesprächen wandeln.
Sowohl Jahresmitarbeitergespräche als auch Feedbackgespräche geben jedoch nur den Anlass bzw. den Rahmen solcher stark auf die Mitarbeitenden und die Zusammenarbeit angelegter Gespräche. Der wichtigste Faktor ist die Art und Weise, wie diese Gespräche geführt werden, um die Ziele Informationsfluss, Motivation, Weiterentwicklung, Standortbestimmung, Potenzialabschätzung, etc. zu erreichen.
Daraus ergeben sich multiple kommunikative Herausforderungensowohl an Führungskräfte als auch Mitarbeiter:
· Die Gesprächs- und Feedbackkultur müssen ausgebaut werden: eine genauere Planung und zielgenaue Durchführung von Mitarbeitergesprächen ist erforderlich.
· Vorgesetzte, Projektleiter oder Teamleiterwerden stärker in die Rolle von Coaches und Beratern versetzt, um die individuelle Arbeitsweise und das Arbeitsumfeld optimieren zu können.
· Mitarbeiter sind gefordert, ihre jeweiligen Anforderungen an Mitarbeitergespräche zu artikulieren und ihre Erwartungen und Ziele klar zu formulieren.
Notwendig werden deshalb Trainings zu Mitarbeiter- und Feedbackgesprächen, Unterstützung zur Veränderung von jährlichen Mitarbeitergesprächen zu kurzfristigeren Feedbackgesprächen oder die Beratung von Organisationen im Hinblick auf notwendige kommunikative Kompetenzen ihrer MitarbeiterInnen.
Persönliche Gespräche unter vier Augen eröffnen umfassenden inhaltlichen Austausch und stärken die Beziehungsebene, wenn eine vertrauensvolle und wertschätzende Gesprächsatmosphäre zugrunde liegt. Sie können jedoch auch innerhalb kürzester Zeit und langfristig dieses Vertrauen zerstören, wenn die Beteiligten nicht achtsam damit umgehen und ihr eigenes Kommunikationsverhalten möglichst reflektiert zum Wohle der Organisation undder Gesprächsbeteiligten einsetzen.
Literatur:
Bartsch, E. (2009): Sprechkommunikation lehren, Band 2, Alpen
Göhlich, M./ Sausele, I. (2008): Lernbezogene Organisation. Das Mitarbeitergespräch als Link zwischen Personal- und Organisationsentwicklung.In: Zeitschrift für Pädagogik 54 (2008), 5, S. 679 - 690
Hays AG (Hrsg.) (2016): HR-Report 2015/2016.
Hernstein Management-Report (2016): Mitarbeitergespräche als Instrument derPersonalentwicklung. file:///C:/Users/LOCALA~1/AppData/Local/Temp/Hernstein-Management-Report-2016-Mitarbeitergespraeche-1.pdf,abgerufen am 15.12.2018
König, S./ Rehling, M. (2006): Mitarbeitergespräche.Erfolgsfaktoren, Potenziale und Defizite in der öffentlichen Verwaltung.Düsseldorf
Schalwat, C. (2014): Wertschätzung im Mitarbeitergespräch – wodurch erleben Arbeitnehmer heutzutage Wertschätzung und wie lässt sich diese durch Vorgesetzte ermitteln ? Eine empirische Analyse am Beispiel eines Unternehmens aus der Automobilindustrie, Berlin
Tondorf, K./Bahnmüller, R./Kalges, H. (2002): Steuerung durch Zielvereinbarungen: Anwendungspraxis, Probleme, Gestaltungsüberlegungen. Berlin
Trost, A. (2018): Neue Personalstrategien zwischen Stabilität und Agilität. Berlin
Die WELT (8.6.2017): SAP erfindet das Mitarbeitergespräch neu. https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article165326096/SAP-erfindet-das-Mitarbeitergespraech-neu.html,abgerufen am 18.12.2018
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